Die Bedeutung der Sprachen
© Frank Weinreich

He had been inside language.
(Charles Moseley)



Tolkiens Biograph Humphrey Carpenter hat das Interesse an Sprachen als einen zentralen Punkt in den Erzählungen aus Mittelerde identifiziert - wobei 'Interesse' als Wort viel zu schwach ist: "Philologie - die Liebe zu den Wörtern, das war es, was ihn bewegte" (Carpenter 1997, S. 48).

In der Tat kann man wohl sagen, daß die Philologie sein Leben beherrschte. Sein Berufsleben war ihr gewidmet und sein Leben als Geschichtenerfinder ebenso. Schon als Kind beschäftigte Tolkien sich mit Sprachen und las neben dem Englischen, Französischen und Lateinischen auch Altenglisch und Altnordisch - nicht gerade der übliche Zeitverteib für ein Kind. Und die echten Sprachen reichten ihm nicht aus. Schon die allerersten Gehversuche in der phantastischen Literatur, Feengedichte, die Tolkien als junger Mann schrieb, verfaßte er sowohl auf Englisch als auch in einer noch nicht näher benannten "Feensprache", aus der später die Elbendialekte werden sollten. Das war 1915, mehr als zwanzig Jahre vor dem kH. Die Erfindung neuer Sprachen ist als menschliche Angewohnheit nicht ungewöhnlich. Die Linguistik weiß, das viele Kinder mit eigenen Laut- und Wortkombinationen experimentieren, eigene Sprachansätze entwickeln und sich in diesen 'Geheimsprachen' sogar rudimentär unterhalten können. Jedoch gewöhnlich nicht in dieser Durchdachtheit und die allermeisten Menschen geben dieses Hobby mit dem Ende der Kindheit auf. Nicht so Tolkien.

Die amerikanische Autorin Ruth Noel und der Brite David Day gehen bei ihren Tolkien-Interpretationen davon aus, daß Mittelerde überhaupt nur aus dem Grund erfunden wurde, daß Tolkien seinen Kunstsprachen eine Heimat geben wollte (Noel 1980, S. 3; Day 1997, S. 10). Auch sein Biograph Hunmphrey Carpenter berichtet, daß die ersten Gehversuche Tolkiens in den erfundenen Sprachen ihn davon überzeugten, daß eine verbindende Geschichte nötig sei: "Wenn man einmal eine Sprache hat, braucht man auch ein Volk, das sie spricht" (1979, S. 93). Während also "die meisten Autoren eine Gestalt erschaffen und dann einen Namen für sie erfinden" geht Tolkien genau anders herum vor. Für Mittelerde gilt in der Tat, "am Anfang war das Wort" (Day 1997, S. 10, Day bezieht sich auf das Johannes-Evangelium 1, 1) und Helmut Pesch weist zu Recht darauf hin, dass selbst die Geschichte Mittelerdes eine ihrer Sprachen ist und auch an der Entwicklung der von Tolkien erfundenen Sprachen abgelesen werden kann (vgl. Pesch 2003, 20)..

In Mittelerde wurden im Laufe der Zeitalter viele Sprachen gesprochen. Zur Zeit des Ringkrieges gibt es eine gemeinsame Sprache, die von allen, sogar den Orks zumindest halbwegs richtig benutzt wird. Das ist Westron, die alte Menschensprache des Nordens. Laut Ruth Noel hat Tolkien, seine Sprachen nicht vollkommen willkürlich entwickelt, sie entstanden vielmehr in Anlehnung an echte Sprachen und Dialekte Englands und Nordeuropas. Westron, die gemeinsame Sprache zeigt klangfarblich und grammatikalisch starke Ähnlichkeiten mit dem Altenglischen und dem Altnorwegischen (Noel 1980, S. 7). Alle Menschen sprechen eine Form des Westron als Muttersprache, wenn auch die Dunedain, die Rohirrim und die Gondorianer verschiedene Dialekte benutzen. Auch die Hobbits, die keine ureigene Sprache besitzen, sprechen Westron. Allerdings führte die langjährige faktische Isolation des Auenlandes dazu, daß sich ein eigenständiger Dialekt entwickelte, den Tolkien in Anlehnung an das Keltische gestaltete.

Die Elben besitzen ganz eigenständige Sprachen namens Quenya (die Hochsprache Mittelerdes) und Sindarin (die elbische Umgangssprache). Die Elben nannten sich ursprünglich selbst Quendi, was soviel heißt wie "Jene, die mit Stimmen sprechen". Das ist eine Idee, die sich bis auf den griechischen Philosophen Aristoteles zurück verfolgen lässt, der den Menschen als "zoon logon echon" definierte, als "Tier, das Sprache besitzt". Quenya ist "stark vom Finnischen beeinflußt", während Tolkien für Sindarin "das Walisische zum Vorbild nahm (Carpenter 1979, S. 114). So verwundert denn auch nicht, dass Finnisch und Walisisch die Sprachen waren, die unser Autor am meisten liebte (Carpenter 1979, S. 114). Die beiden Elbensprachen unterteilen sich nach Anzahl der verschiedenen Elbenstämme noch in mehrere Dialekte. Quenya und Sindarin sind die Sprachen, die Tolkien am stärksten ausdifferenziert hat. Für beide Sprachen erfand er einen großen Wortschatz und eine ausgetüftelte, in sich logische Grammatik. Es ist zwar nicht möglich, sich normal auf Quenya zu unterhalten (Noel 1980, S. 61), wie mir Helmut Pesch, der beste Elbisch-Kenner, den wir haben, versicherte, aber rudimentäre Unterhaltungen sind möglich, für die Anrufungen und Gedichte, die Tolkien überlieferte ist es sogar ideal.

Weitere vollkommen eigenständige Sprachen sind das Khuzdûl, das die Zwerge sprechen, und das Entische. Khazad ist eine Sprache, von der nicht sehr viele Wörter bekannt sind und die meiner Meinung nach hauptsächlich wegen ihres lautmalerischen Effektes erfunden wurde. Die harten Konsonanten und kurzen Vokale spiegeln das grüblerische und eigenbrötlerische Wesen der Zwerge angemessen wieder. Khazad entwickelte sich auch nicht wie eine natürliche Sprache, sondern wurde von dem Ainur Aule für die Zwerge erfunden (Noel 1980, S. 55). Das Entische ist ebenfalls eine völlig eigenständig. Sein Hauptsinn ist es, das baumische Wesen der Langsamkeit klanglich abzubilden. Wir werden das sehr schön im Hörspiel hören können. Ebenfalls eigenständig, allerdings von Tolkien kaum ausgefeilt, ist die schwarze Sprache der Schergen Mordors.

Dem Gebrauch der verschiedenen Sprachen, in Form von Gedichten, Ausrufen und Zitaten merkt man die Liebe des Philologen Tolkien zu Sprachen an, die im übrigen auch wesentlich zur Stimmung der Erzählung beiträgt. Helmut Pesch bemerkt zu Recht, Tolkien habe ein sinnliches Verhältnis zur Sprache gehabt. Tolkien schrieb selbst dazu, dass ihm »Lord of the Rings« auch dazu diene, seine "persönliche Ästhetik" auszudrücken: My long book is an attempt to create a world in which a form of language agreeable to my personal aesthetic might seem real (Letters, p. 264).

In den Geschichten aus Mittelerde drückt sich dieses ästhetische Empfinden auch darin aus, wie Sprache zur Charakterisierung eingesetzt wird: Das Wesen der Völker drückt sich schon in den Sprachen aus, die sie sprechen. Die Sprache der Elben ist licht, offen und besitzt einen melodischen Charakter, während die black language von Mordor dunkel, abgehackt und verschlossen wirkt.

Man bekommt einen ganz guten Eindruck davon, wenn man folgende Sätze einmal laut vorliest, auch ohne dass man den Inhalt der Verse versteht:

A Elbereth Gilthoniel / silivren penna miriel / o menel aglar elenath! ("th", scharf aussprechen wie in "bath").

Ash nazg durbatulûk, ash nazg gimbatul / ash nazg thrakatulûk agh burzum-ishi krimpatul ("z" als weiches "s" wie in "satt" aussprechen).

Der Klang des zweiten Verses wird im HdR als "drohend, kraftvoll und hart wie Stein" beschrieben. Die Wirkung des lautmalerischen Effekts entsteht durch eine Lautverteilung, die anders ist als im Englischen (oder Deutschen) und so in realen Sprachen nicht vorkommt, die in der Regel viel homogener sind: In der Sprache der Elben dominieren Konsonanten, die 'offen' und 'klingend' wirken wie "f", "v", "th" (Frikative) oder "n", "m" (Nasale) und "l", "r" (Laterale), während 'dunkel' klingende Konsonanten wie "g" und "k" (Gutturale) nur selten vorkommen. Genau umgekehrt ist die Situation bei der black language, in der als Vokale denn auch "a" und "u", vor den offener klingenden Buchstaben "e" und "i" überwiegen, die die Elbensprache wiederum reichlich bietet. Sehr viel ausführlicher ist dies bei Helmut Pesch in dessen Aufsatz "J.R.R. Tolkiens linguistische Ästhetik" beschrieben, dessen Ausführungen ich in diesem Absatz zusammenfasse. Die Sprachen dienen nicht nur der Illustration von Personen und Völkern. Außerdem zeigt sich die persönliche Ästhetik Tolkiens in der Verbindung von Sprache und Charakter der Sprechenden. Die Elben stellen auf einer gedachten Skala abnehmender Schönheit sozusagen den Höhepunkt dar, während die Orcs am unteren Ende stehen. Die Sprache der Elben lädt geradezu zum Singen ein, während die black language nur zum Knurren und Fluchen taugt.

Neben den gesprochenen Zungen hat Tolkien um der Authentizität seiner Sprachen willen außerdem eigene Schriftsprachen mit Runen und Schriftzeichen kreiert. Die Schriftzeichen erinnern mich in ihrer flüssigen Leichtigkeit an das Hebräische und Arabische, während die mittelerdischen Runen eng an der nordischen Runenschrift orientiert sind. Komplette Zeichensätze sind in Ruth Noels Buch der Sprachen Mittelerdes abgebildet (S. 42 - 50). Und im Internet kann man sich auf verschiedenen Seiten mittlerweile komplette True Type-Fonts für den Computer herunterladen und somit selbst in Elbenschrift schreiben. (So ist der Bildhintergrund auf meinen Tolkienseiten aus dem Schriftfont Tengwar Sindarin von Dan Smith gebildet und zeigt die Buchstaben jrrt, John Ronald Reuel Tolkien)*

Die Sprachen Mittelerdes haben in der einen oder anderen Form echte Sprachen unserer Welt zum Vorbild. Trotzdem ist es verblüffend, wie groß der Erfindungsreichtum Tolkiens ist, der sich in ihnen ausdrückt. Mittelerde mag für Tolkien zu großen Teilen das Vehikel seiner Sprachschöpfungen sein. Für den Leser und Hörer sind sie integraler Bestandteil der Lebendigkeit und Echtheit dieses zweitgeschöpften Universums.

Ich werde manchmal gefragt, ob es wirklich Fans gibt, die sich auf Quenya oder Sindarin unterhalten. Das weiß ich nicht, aber behelfsmäßig und für das (Rollen-)Spiel ist es allemal möglich und wer viel über die Sprachen lernen möchte, findet jetzt in Helmut Peschs beiden Büchern „Elbisch“ das ideale Werkzeug, dies zu tun.


Literatur


*Vielen Dank an Carsten Becker und Charlotte Kerner, die mich in diesem Zusammenhang auf einen Fehler aufmerksam machten!

(Bochum 10/´99)