Es gibt mittlerweile zwei Übersetzungen des HdR - und die werden sehr kontrovers gelesen. Hier ist meine Meinung.


Dass ich ein begeisterter Freund des Herrn der Ringe bin, weiß, wer sich ein wenig auf meinen Seiten umgesehen hat. Meine Liebe begann Ende der siebziger Jahre mit der ersten Lektüre. Damals noch (und ca. 8-10mal danach immer wieder) in der deutschen Übersetzung von Margaret Carroux. Mittlerweile habe ich die Bücher natürlich auch im Original gelesen und finde, dass Frau Carroux einen sehr ordentlichen Job gemacht hat.

J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe. 3 Bände. Übersetzt von Margaret Carroux. Stutggart: Klett-Cotta 1986.

Sie bleibt eng an der Vorlage und es gelingt ihr, den Stil Tolkiens einzufangen und in die deutsche Sprache zu übertragen. Vor allem aber gelingt es ihr, die Stimmung zu übersetzen, die Tolkien erzeugt. Der Herr der Ringe lebt zu großen Teilen von der meisterhaft bildlichen Sprache, die das Beschriebene automatisch als Bilder vor dem geistigen Auge aufziehen lässt, wie es sonst in diesem Genre höchstens noch Mervyn Peake vermochte. Je höher aber die Qualität der Sprache, desto schwieriger ist die Übersetzung. Aus diesem Grund ist das Original der Translation ja auch immer vorzuziehen - nur wer spricht all die Sprachen, die man beherrschen müsste, um die ganze Fülle menschlicher Literatur erfassen zu können. Also müssen Übersetzungen sein - aber gute, bitte schön. Carroux hat diese Bitte erfüllt.

Dann brachte Klett-Cotta nach dreißig Jahren eine neue Übersetzung heraus. Übersetzer ist übrigens nicht irgend jemand Unbekanntes: Wolfgang Krege hat schon einiges zum Herrn der Ringe publiziert (bspw. das Handbuch der Weisen von Mittelerde) und er ist der Übersetzer des "Silmarillion" - das er ähnlich textgetreu übertragen hat wie Margaret Carroux die Trilogie - und des "Hobbit". Krege ist angetreten, um den Text "ein gewisses Eigenleben in den Spielräumen der deutschen Sprache gewinnen" zu lassen hinsichtlich: "Farbe, Tempo, Kontrasten" (Krege in der Tolkien Times vom August 2000).

J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe. 3 Bände. Übersetzt von Wolfgang Krege. Stutggart: Klett-Cotta 2000.

Mir hat die alte Übersetzung ja gereicht - und wenn ich ab und zu Mails bekommen habe, in denen meine Meinung zu der neuen, "vielgescholtenen" (so die Deutsche Tolkiengesellschaft) Fassung erfragt wurde, so musste ich gestehen, diese nicht zu kennen. Bis Anfang 2001 der Mentor-Verlag anrief und mich fragte, ob ich nicht ein Buch über den Herrn der Ringe schreiben wolle. Ich wollte! Darauf Mentor: Dann müssen sie aber auch die neue Übersetzung berücksichtigen. Traurig schaute mich meine alte, zerfledderte grüne Ausgabe vom Regal her an - aber was sollte ich machen?

Also kam, sah und las ich - und war überrascht. Wer immer da gescholten haben mag - soviel gibt es nun inhaltlich doch nicht zu bemängeln. Und der Übersetzer hat ja klar gesagt, was er intendierte (s.o.). Das hat er von Ausrutschern abgesehen auch erreicht! Aber man gewinnt durch stärkeres Abnabeln von der Vorlage natürlich nicht nur Freiräume, es geht auch etwas verloren.

Ein vergleichendes Beispiel:

Es ist bekannt, dass Tolkien ein Liebhaber der Natur und alles Lebendigen war. Einer der ergreifendsten Abschnitte der Trilogie beschreibt jedoch gerade die Schönheit des Unbelebten, des Steins und des unbearbeiteten Erzes: Beim Kampf um Helms Klamm wurde Gimli, der Zwerg in die Höhlen der Klamm abgedrängt und findet darin einen Platz unvergleichlicher Schönheit - unter anderem kleine Seen. Aus diesem Abschnitt ein Beispiel - ein Satz nur - aus einer der schönsten Passagen des Herrn der Ringe:

"And plink! a silver drop falls, and the round wrinkles in the glass make all the towers bend and waver like weeds and corals in a grotto of the sea."

Carroux übersetzt:

"Und plink! ein silberner Tropfen fällt, und die runden Kringel auf dem Glas lassen alle Türme sich verbeugen, und wie Wasserpflanzen und Korallen in einer Meeresgrotte wogen sie."

Krege übersetzt:

"Und plink! fällt ein silberner Tropfen herab, und Kreise breiten sich über den Spiegel aus und lassen alle Türme sich verneigen und schwanken wie die Kräuter und Korallen in einer Meeresgrotte."

Man sieht, dass Carroux sich eng an die Vorlage hält. Das 'kostet' den Text ein wenig an Flüssigkeit (lassen alle Türme sich verbeugen; wogen sie). Aber im Original heißt es schließlich auch nicht "the towers are bend by the wrinkles", sondern "make ... bend". Wolfgang Krege, der Übersetzer der neuen Ausgabe, schreibt in der Tolkien Times vom August 2000 dazu: "Die alte Fassung ist nachvollziehend, sie bildet den fremden Text in der eigenen Sprache getreu ab, wobei als unvermeidlich in Kauf genommen wird, dass der Ausdruck ein wenig blasser, das Tempo langsamer, der Stil gleichförmiger wird". Der Text wird "Blasser"? - Unsinn! Aber sonst hat Krege recht. Die alte, ganz getreue Übersetzung mutet auch ältlich an und lässt sich nicht so ganz flüssig lesen. Das gleiche Schicksal haben aber alle englischsprachigen Leserinnen und Leser auch - schließlich geht (hoffentlich) niemand hin und 'tuned' das Original.

Und Krege? Ja, das liest sich flüssiger. An manchen Stellen finde ich die Neuerungen auch ganz erfrischend, selbst wenn sie dem Original nicht genau entsprechen. So bezeichnet Bauer Maggot, den Nazgûl, der sich bei ihm nach Frodo erkundigt, im Original als "fellow", was Carroux als "Bursche" wiedergibt. Krege redet von "Kunde" - das finde ich eigentlich besser, da die ambivalente Bedeutung des "fellow" in einen moderneren Begriff gepackt wurde, der diese Ambivalenz trägt. Und in der Art gibt es einige schöne Kleinigkeiten. Ich denke es ist eine Geschmacksfrage. Beide Übersetzungen haben ihre Berechtigung. Ich ziehe die alte vor weil sie näher am Original ist. Die neue ist näher an unserer Zeit - und auch das ist größtenteils OK.

Die Modernisierungen wachsen sich aber dann zum Ärgernis aus, wenn es um die Interpretation wichtiger Vokabeln geht: Sam spricht Frodo immer mit "Master" oder "Sir"an. Darin drückt sich sowohl das Verhältnis als Arbeitgeber aus (Sam ist ja Gehilfe des alten Ohm, der auf Beutelsend als Gärtner arbeitet) aber es drückt sich auch der Standesunterschied aus. Sam ist Arbeiterklasse und Frodo entspricht von seiner Stellung als relativ reicher und unabhängiger Privatier der Gentry (gentry laut Oxford Dictionary: "people of good social position next below the nobility"). Stärker als das Arbeitsverhältnis wird durch "Master" und "Sir" der Standesunterschied betont. Carroux drückt das mit "Herr" vollkommen korrekt aus. Kreges "Chef" entspricht einer Beschreibung des Arbeitsverhältnisses, das ist, was das englische Wort "Boss" meinen würde - das steht bei Tolkien aber nicht und das meint er auch nicht. Dieser Fehler ist schon gravierend, da er einen ganz zentralen Punkt, das Verhältnis der wichtigsten Aktuere des HdR, Sam und Frodo, falsch wiedergibt.

Ich ziehe die alte Fassung aber auch vor, weil Krege bei aller Flüssigkeit dann auch hurtig richtige Sachfehler eingeflossen sind. Bei Carroux heißt es im Beispiel oben "Wasserpflanzen", bei Krege "Kräuter", Tolkien spricht von "weed". "Weed" als Vokabel für eine Pflanze steht für Unkraut - oder, als "sea-weed" für Wasserpflanze. Und so ist die Kurzform bei Tolkien gemeint, denn die "Kräuter" sollen sich ja in einer Meeresgrotte wiegen. Also ist es eine "Wasserpflanze", und "Kräuter" ist schlicht falsch, da "Kraut" laut Brockhaus´ Lexikon Biologie, Band 1/A-Me auf Seite 477 als Landpflanze definiert ist. Das ist aber noch gar nichts gegen die Fehler, die ein Projektteam der Deutschen Tolkiengesellschaft entdeckte! Eine genaue Textanalyse zeigte hunderte kleinerer und größerer Fehler. Im Augenblick möchte ich darauf noch nicht näher eingehen, da die DTG zunächst fairerweise dem Verlag die Chance bieten möchte, die Fehler in der Übersetzung zu beheben. Solange echte Fehler allerdings zuhauf die neue Übersetzung bevölkern, kann man nicht zuraten, mit dieser Ausgabe zu arbeiten. Leider ist die Carroux-Fassung nur noch als Hardcover zu haben und die ist etwa dreimal so teuer wie die Taschenbuchausgabe:-(

Woher kommen die vielen Fehler? Nun, ich denke, dass da Ende der Neunziger jemand bei Klett-Cotta mit leicht verschlafenem Blick auf die nahende Veröffentlichung der Verfilmung von Peter Jackson bemerkte, dass wenn man, denn nun Werkpflege tuen wollte, dies nun an der Zeit wäre. Also bekam Wolfgang Krege anscheinend einen Eilauftrag - Margaret Carroux war inzwischen verstorben - und musste nun mit heißer Nadel stricken. Dass da Fehler passieren ist klar. Dass man sich dies aber mit einem Werk erlaubt, das von seinen Freunden so akribisch gelesen wird wie der HdR ist unverständlich. Das konnte nicht gut gehen und dass dies so sein würde, hätte in Stuttgart eigentlich bekannt sein müssen.



F.W. (06/01)