Ein anderer Zugang zu Mittelerde1 - die Verfilmung Peter Jacksons
© Frank Weinreich


"Drama is naturally hostile to Fantasy. Fantasy, even of the
simplest kind, hardly ever succeeds in Drama, when
that is presented as it should be, visibly and audibly acted."

(J.R.R. Tolkien, On Fairy Stories)


Ich habe mir von der Verfilmung ursprünglich nicht viel versprochen, da ich dazu neigte, den HdR wie viele andere für unverfilmbar zu halten. In diesem Zusammenhang schien mir ein Zitat von Tolkien selbst immer besonders einleuchtend. In "On Fairy Stories" schreibt er : "Das Drama ist der natürliche Feind der Phantasie. Phantasie, selbst solche der einfachsten Art, kann innerhalb der dramatischen Darstellung kaum bestehen, wenn die Geschehnisse, so wie es das Drama verlangt, szenisch umgesetzt werden." (Tolkien 1988, 47, vgl. den Originaltext oberhalb des Titels dieses Aufsatzes). Tolkien wurde in den Sechziger Jahren auch einmal ein Drehbuch vorgelegt, von dem er sich mit Grausen abgewandt haben muss. Das Drehbuch mit Tolkiens eindeutigen Kommentaren an den Rand gekritzelt kann heute noch in der Bibliothek der Marquette University eingesehen werden (Shippey 2004, 234f.). Trotzdem war Tolkien nur skeptisch und stand einer Verfilmung nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber (Letters No. 201, 202, vgl. auch Shippey 2004 234f.).


(Die Bilder entstammen einem auf phantastische Weise zu einem Herr-der-Ringe-Diorama ausgebauten Auto, das ich 2007 auf der RingCon in Fulda fotografieren konnte.)


I

Was Peter Jackson nun geschaffen hat, überzeugt mich denn auch weitgehend. Sicherlich habe ich meine Kritikpunkte, aber Jackson hat den Geist der Geschichte meistenteils erfasst und ihn so gut umgesetzt, wie dies mit den begrenzten Mitteln des Filmes möglich ist (begrenzt im Vergleich zu den unbegrenzten Möglichkeiten unserer Phantasie - grundsätzlich ist die Lektüre durch nichts zu ersetzen, wie ich hier unter dem Titel "Warum Tolkien lesen?" ausführe). Und aus diesem Grund sage ich auch, dass das Produkt mich im Wesentlichen befriedigt, wenn es auch immer noch Grund für substanzielle Kritik gibt.

Deshalb zunächst doch noch einige skeptische Gedanken, die sich hauptsächlich um das mit der Visualisierung einhergehende Problem drehen. Denn eigentlich sollte man ja annehmen, dass die Konkretisierung der Feind der Phantasie ist. Schließlich hatten wir alle eigene Bilder von Frodo, Gandalf, Bruchtal und dem Orthanc in unserem Kopf und kriegen auf der Leinwand doch nur die Bilder präsentiert, die der Regisseur von Frodo, Gandalf, Bruchtal und dem Orthanc in seinem Kopf hatte: der Regisseur eines Filmes bügelt mit seiner Umsetzung radikal über die persönlichen Eindrücke von Personen und Orten hinweg, indem er uns Bilder vorsetzt, die sich in diktatorischer Manier vor die inneren Bilder zu schieben drohen, die man sich bei der Lektüre gemacht hatte. Und dies war auch der Hauptgrund meiner Skepsis – wie würde sich der Film mit meinen Vorstellungen vertragen? Ich kenne auch begeisterte Tolkienleser, die sich die Filme aus genau diesem Grund nie angesehen haben. Und die kann ich gut verstehen, denn es besteht eben die Gefahr, von den Bildern überfahren zu werden: „Der Herr der Ringe ist ein durch und durch visuelles Werk, also muss jeder, der versucht, die Worte in Bilder umzusetzen, immer auch jemandes Vorstellungen verletzen“ (Veugen 2005, 191).

Jackson hat dies aber offenbar mitbedacht und das Beste daraus gemacht. So fand er Schauspieler, die ihre Rollen größtenteils leben. Sicher wird sich niemand einen Gandalf mit der exakten Physiognomie von Sir Ian McKellen vorgestellt haben – aber McKellen wird zu Gandalf in den Szenen, in denen er ihn verkörpert, das spürt man an seinem Schauspiel und das überträgt sich ins Parkett. Oder die meisten Elben. Menschen sind keine Elben – also können sie sie auch nicht realistisch darstellen. Doch Menschen können das elbische Wesen in ihrem Spiel zeigen und das tun sie meiner Meinung nach, besonders in Legolas´ bzw. Orlando Blooms zurückhaltendem Mienenspiel oder im Fall von Cate Blanchetts ätherischer Erscheinung. Anders als bei meiner Kritik an Arwen vorgestern, geht es im Falle Galadriels auch nicht darum, dass die besondere Schönheit dieser Elbin im Vordergrund steht, sondern es geht um die Macht dieser Frau, es geht um ihren spezifisch elbischen Zauber, den Cate Blanchett meiner Meinung nach einfach rüberbringen kann. Es gibt zwar auch Entgleisungen wie Craig Parker, dessen Haldir aussieht als sei er fünfzehn Jahre auf Kortison (das war aber die von Jackson angeordnete Maske, ich kenne Craig seit vielen Jahren und er sieht im wahren Leben viel elbischer aus als im Film). Aber geschenkt! Oder nehmen wir Sam. Er hat seine großen Szenen natürlich erst im dritten Teil – aber die Art und Weise wie Sean Astin Sam stur in den Anduin laufen lässt, egal was dabei aus ihm werden wird, das ist der Sam, so wie ihn sich Tolkien gedacht hat. Und dann macht es überhaupt nichts, dass diese Szene im Buch anders geschildert wird. Im Buch zeigt der Dialog die Liebe Sams zu seinem Herrn und vice versa - im Film zeigen die Bilder genau das Gleiche! Das ist auch völlig okay – schließlich erzählt Film primär mit visuellen Mitteln. Also darf Film auch inhaltlich abweichen, solange er dem Geist der Vorlage treu bleibt.

Werktreue aber ist vorhanden. Marcel Bülles, der Vorsitzende der Deutschen Tolkiengesellschaft, hat 2001 in einer ersten Rezension geschrieben, der Film habe nichts mit dem Buch zu tun (es sei aber ein verdammt geiler Film). Dass zumindest der erste Teil ein verdammt geiler Film ist, finde ich auch, aber das er wenig mit dem Buch zu tun habe sehe ich nicht so hart. Sicher ist vieles anders, vor allem ist vieles gestrichen worden. Wie auch anders: "Das Problem jeder filmischen Adaption besteht darin, dass die Story eingedampft werden muss" (Veugen 2005, 191). Die Geschichte geht viel schneller los als im Buch, die faszinierende Episode mit Tom Bombadil fehlt ganz und dass Natur auch bedrohlich ist, ohne gleich Sauron anzugehören, kommt nicht rüber, weil auf den alten Weidenmann verzichtet wird. Des Weiteren stimmen Personen oder Handlungen nicht mit der Vorlage überein. Natürlich passt nicht Arwen am Bruinen die Gefährten ab, sondern Glorfindel, der Frodo zudem alleine aufs Pferd setzt. Auch der Dialog und der darauf folgende Kampf zwischen Saruman und Gandalf kommen so nicht vor und es gibt auch keine wie Kampfhamster aussehenden Warge, die die Rohirrim im Freien überfallen. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass diese Dinge nicht stimmen. Darauf komme ich gleich zurück.

Denn zunächst möchte ich ein paar wirklich gelungene Aspekte hervorheben. Manchmal gelingt es Jackson, den Geist der Bücher Tolkiens perfekt einzufangen. Man denke an Elronds Rat. Die Szene ist gegenüber den langen Beratungen im Buch radikal verkürzt – aber das macht nix! Denn auf eine Weise gelingt es ihm gerade durch die Kürze, einen wichtigen Aspekt klar zu machen. Da treffen sich richtig wichtige Persönlichkeiten, die Vertreter der letzten freien Völker, also eine Art Vereinte Nationen von Mittelerde. Und die geraten darüber in Streit, wie der Ring behandelt werden soll. In dem Tumult steht dann ein kleiner, unbedeutender Hobbit auf und spricht das Originalzitat aus dem Buch: „Ich werde den Ring nach Mordor bringen auch wenn ich den Weg nicht kenne.“ Besser kann man nicht symbolisieren, dass es die Kleinen und Unberühmten sind, die die entscheidende Rolle in der großen Weltgeschichte spielen – und das ist exakt der Punkt, den Tolkien mit der Einführung der Hobbits klarstellen will (vgl. Shippey 2004, 240). Oder die kritische Darstellung von Krieg, die ich ja im Vortrag „Warum Tolkien lesen?“ hervorgehoben habe. Bezeichnend sind da besonders zwei überwältigend umgesetzte Szenen: die Waffenausgabe an die Alten und Jungen vor der Schlacht von Helms Klamm in Teil II und die Szene mit Pippin und Denethor im Gegenschnitt mit Faramirs Angriff auf Osgiliath in Teil III, die die Abscheulichkeit von Krieg wunderbar demonstrieren. Und selbst mitten in der dicksten und gefährlichsten Action findet Jackson in tolkienscher Art und Weise Zeit, Frieden und Zuversicht zu verbreiten. Während der Belagerung von Minas Tirith kommt es mitten in der Schlacht zu einem Dialog zwischen Gandalf und Pippin, der im Buch nicht vorkommt. Aber die Art und Weise wie es Gandalf gelingt, Pippin zu trösten, ist typisch für die Zuversicht, die Tolkien mit seiner Geschichte zu verbreiten bemüht ist. Übrigens wird mit dem "grünen Ufer", von dem Gandalf spricht, eines der ältesten Motive der Mittelerdedichtung aufgenommen, das mindestens schon 1917 erfunden wurde und das für Tolkien selbst ein Synonym für das Paradies darstellt. Ein weiteres Beispiel für eine perfekte Übereinstimmung der Intentionen des Buches wie des Films ist natürlich die geniale Darstellung von Gollums Zerrissenheit.




II

Das Schwierige besteht jedoch nicht in der Erzeugung von Übereinstimmungen, sondern in der Umsetzung der nötigen Differenzen. Man kann den HdR nicht Eins zu Eins filmisch umsetzen und gleichzeitig einen zumutbaren Film zurückerhalten. Das Buch erlaubt Jedem ein eigenes Vorgehen, eine eigene Aneignungsgeschwindigkeit. Der Film nimmt auf die Zuschauerinnen und Zuschauer zunächst keine Rücksicht, er läuft einfach ab. Das wäre bei einer 'Eins zu Eins'-Umsetzung im Falle des HdR tödlich fürs Zusehen. Also muss der Regisseur eingreifen und sich für eine Strukturierung entscheiden. (Das muss er natürlich auch aus Kostengründen tun.) Für Jackson hieß dies zum einen Kürzen und neue Anschlüsse zwischen den Streichungen schaffen. Damit folgte er auch einem Wunsch Tolkiens, dem bezüglich einer Verfilmung natürlich auch klar war, dass das Werk gekürzt werden müsste und der Streichungen der Komprimierung von Handlungsbestandteilen vorzog (L 261). Zum anderen hat der Film andere Erzählmöglichkeiten als das Buch. Das Buch besteht 'nur' aus Wörtern. Der Film ist zwar (s.o.) diktatorisch gegenüber der Phantasie, aber er kann die Sinne auch anders ansprechen und das Geschriebene anders darstellen, indem er es zeigt und zu Wort und Musik kommen lässt. Ja, der Film muss diese Möglichkeiten auch kreativ nutzen, denn das Buch mit der Kamera abzuschreiben, hätte man sich auch sparen können. Jackson schreibt aber nicht ab, er interpretiert und er interpretiert im Großen und Ganzen gut.

Was aber meine ich, wenn ich sage, dass die Änderungen – selbst ein gravierender Eingriff wie der dass Arwen plötzlich so eine große Bedeutung hat – dass diese Änderungen nicht bedeuten müssen, dass die Geschichte oder einzelne Episode nicht stimmen? Ich meine damit, dass der Geist der Erzählung im Großen und Ganzen erhalten bleibt und zudem durchgängig werkgetreu wiedergegeben wird. Und das ist schließlich die Aufgabe einer Interpretation. Es kommt allerdings zu einer bewussten Verschiebung von Schwerpunkten, etwa hin zu Schlachten und Kämpfen und weg von ruhigeren, aber tiefsinnigen Gesprächspassagen, die die Ausgewogenheit des Werkes gerade in Fragen der Wertigkeit von Gewalt zu unterminieren droht (vgl. bspw. v.d. Bergh 2005, Kap. 5). Diese Verschiebung wäre auch so von Tolkien nicht gewollt worden, der in einem Brief aus dem Jahr 1958 die Befürchtung äußert, dass eine Verfilmung zu actionlastig werden würde (L 275).

Im Großen und Ganzen ist die Darstellung jedoch auch da recht stimmig, wo Änderungen eingebaut worden sind. Das erreicht Jackson dadurch, dass er die Charakteristika der Personen und der Völker sinngemäß meist auch dann richtig darstellt, wenn er vom Buchstaben der Vorlage abweicht. Viele Worte, die das Drehbuch beispielsweise Boromir in den Mund legt, sind neu erfunden – aber sie dienen doch nur dazu, die Zerrissenheit des Charakters im Kontext der jeweiligen Bilder darzustellen. (Z.B. als Frodo auf dem Caradhras den Ring verliert, das kommt so im Buch nicht vor und ist doch nötig, die Entwicklung Boromirs bis zu seinem Übergriff auf Frodo glaubhaft darzustellen. Im Buch gelingt das über viele kleine Einzelheiten, der Film hat nicht die Zeit, so subtil vorzugehen.) Das Gleiche gilt für die schon erwähnte Szene mit Sam und Frodo an den Fällen des Rauros. Das hat Tolkien anders – nämlich viel undramatischer – geschildert. Aber Tolkien hat auch viele Seiten Zeit, das Verhältnis von Sam und Frodo in verschiedenen Szenen und Situationen zu schildern. Der Film muss da punktuell deutlicher werden, schließlich wird hier der Grund dafür bereitet, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer Sam in den nächsten beiden Teilen abnehmen, dass er sich für seinen Herrn in Liebe aufopfert. Außerdem werden die wichtigsten Passagen aus dem Buch von Jackson zielsicher beibehalten. Schlüsselsätze wie der Dialog zwischen Gandalf und Frodo über Gollum ("Manche, die sterben verdienen das Leben – kannst du es ihnen geben?"; wenn es auch teilweise leichte Differenzierungen gibt, die dienen aber nur der Verstärkung, die das gesprochene gegenüber dem geschriebenen Wort manchmal nötig hat; vgl. Shippey 2004, 241) werden dankenswerterweise korrekt zitiert und reichen an ihren Stellen dann auch aus, um das zu erzählen, was Tolkien erzählen wollte.




III

Soweit der Film als Film. Doch was ist von der Interpretation zu halten, die die filmische Umsetzung einer literarischen Vorlage ja immer auch ist? Jackson selbst betont ja immer wieder, das er seine Sicht der Geschichte erzählt, die zudem noch den spezifischen Anforderungen der filmischen Dramaturgie gehorchen muss. Dass er also Dinge umstellt und Ereignisse auslässt, soll ihm unbenommen sein. Man bekommt ja zudem einen echten Mehrwert. Tolkien lässt beispielsweise den Angriff der Ents auf Isengard schließlich nur aus zweiter Hand berichten, während wir im Film die echte Auseinandersetzung zu sehen bekommen. Wie gesagt, das ist Jackson ebenso unbenommen (obwohl gerade eine Schlacht, die im Buch nicht vorkommt, natürlich eklatant zur Verschiebung hin zur Action beiträgt. Aber die kämpfenden Ents sind einfach geil umgesetzt:-)) wie die aufgewertete Rolle Arwens, die wohl hauptsächlich die Geldgeber beruhigen sollte (Einsatz einer schönen Frau als Bonus für pubertierende männliche Zuschauer).

Jackson folgt mit den gegenüber dem Buch gemachten Änderungen des ersten Teiles dem Gedankengang der Vorlage. Das ist im zweiten und dritten Teil manchmal leider nicht mehr so. Die großen Linien werden im Film nicht verlassen, darum geht es in dieser Kritik aber nicht. Das Böse besteht genau wie bei Tolkien zuallererst in Angriffen auf die Freiheit und das Gute behauptet sich durch Zusammenhalt und Liebe. Ebenso tritt das Motiv der Gnade durchgängig korrekt auf und auch die Naturverbundenheit und die Ästhetik Tolkiens wird im Film reproduziert. Es geht nicht darum, dass Jackson Tolkien nicht verstanden hätte, es geht um kleinere Fehler und Abweichungen, die um eines vermeintlichen Vorteils willen eingebaut werden, die sich aber gegen wichtige Überzeugungen aus der Vorlage richten.

Mein erster Einwand richtet sich gegen die Darstellung des Verhältnisses von Aragorn und Eowyn sowie der merkwürdigen Einspielung Arwens. Sehe ich das falsch oder sieht es so aus, als ob Arwen sich nach Valinor aufmacht? Sicher hat sie sich das im dritten Teil noch einmal überlegt, aber was soll das? Arwen zweifelt nicht einen Augenblick an ihrer Liebe zu Aragorn. Und Aragorn nicht an seiner Liebe zu Arwen. Im Film scheint sich aber Eowyn ein wenig tiefer in seine Gefühle zu schleichen. Das finde ich nicht richtig. Aragorns und Arwens Liebe ist eine Reprise des Themas Beren und Luthien. Und das Motiv von Beren und Luthien ist ein Testat der Liebe Tolkiens zu seiner Frau. Jackson handelt falsch, wenn er dieses Motiv um einer kleinen emotionalen Spannungsspitze willen zeitweise zur Disposition stellt! Ich weiß, das klingt ein bisschen verbohrt nach Jemandem, der die reine Lehre dogmatisch hochhält ... und außerdem bin ich des Vorwurfs schuldig, ein Romantiker zu sein. Okay, verklagt mich!

Was ist aber zweitens mit dem komplexen Gefüge der Völker untereinander und mit dem Schwinden der Elben aus einer Welt, für die sie sich nicht mehr ganz verantwortlich fühlen? Das ist ein beherrschendes Motiv des HdR, denn Mittelerde verliert, trotz des Sieges über Sauron, weil mit den Elben dieser jenseitige Zauber verloren geht, der Tolkiens Welt von unserer unterscheidet. Das hat auch Jackson eigentlich gut erfasst, wie es die wunderbare Darstellung Bruchtals mit seinem melancholischen Ambiente beginnenden Zerfalls ebenso schön zeigt wie die resignativ-erleichterte Zurückweisung des Ringes, als Frodo ihn Galadriel anbietet. Was haben dann aber die Elben unter Führung des dicken Haldir in Helms Klamm zu suchen? Ausgerechnet den Rohirrim sollen sie zu Hilfe kommen, wo doch eine bis zur offenen Feindschaft reichende Spannung zwischen Rohan und Lothlorien herrscht? Das ist ziemlich unglaubwürdig und vor allem dem Geist der Geschichte zuwiderlaufend. Hätte es einer weiteren charismatischen Figur in Helms Klamm bedurft, warum war dann nicht Éomer da, wo er eigentlich sowieso hingehörte?

Was ist drittens mit der Würde der Hauptfiguren? Tolkien hat die wichtigsten Charaktere aufwändig gezeichnet und sie bewusst mit ihren spezifischen Wesenzügen versehen. Eigentlich kommt das zunächst auch sehr gut rüber. Bis zum Auftritt Gimlis. Was für ein Clown! Und wie ungerecht ist das! Da schnappt sich also der kleine Gimli ein riesiges Pferd, um in den Kampf mit den Wargen zu reiten – nein, was haben wir gelacht. Und eine Stunde später hüpft er wie ein Flummiball hinter den Zinnen der Hornburg auf und ab - peinlich, Mr. Jackson, peinlich. Zwerge sind äußerst ernsthafte und stolze Wesen, die sich niemals so verhalten würden. Zudem ist Gimli gerade in Helms Klamm noch zutiefst von dem Erlebnis bewegt, die Höhlen von Aglarond gesehen zu haben. Das ist ein kleinlicher Einwand? Finde ich nicht, denn Tolkien hat sich etwas dabei gedacht, als er Gimli genauso schuf, wie er ihn geschaffen hat. Die Hauptfiguren stehen alle auch für bestimmte Prinzipien und im Falle Gimlis ist dies unter anderem eine wesensbestimmende Ernsthaftigkeit, die ihn erst zu seiner Rolle in der Gemeinschaft befähigt. Ihm diese durch eine entsprechende Darstellung abzusprechen, läuft wiederum dem Geist der Geschichte zuwider.

Die Prinzipien, für die die Figuren stehen, werden im Falle Gandalfs, Aragorns und der Hobbits eigentlich sehr schön rübergebracht. Hier der edle Herrscher, dort der weise Mentor und Frodo und Sam als unverbrüchliche Freunde. Und dann hat Jackson auf einmal echte Aussetzer. Wir haben es noch nicht gesehen, aber achtet heute mal drauf, wie Gandalf sich in Gondor plötzlich in einen üblen Schläger verwandelt. Noch schlimmer ist da nur, dass Aragorn morgen abend sogar zu einem kaltblütigen Mörder wird. Beide Szenen kommen so nicht nur nicht in der Buchvorlage vor, sie widersprechen den Charakteren völlig. Der gleiche Quatsch mit Frodo und Sam. Diese Freundschaft ist eine Idealisierung von Freundschaft wie Tolkien sie zu den Mitgliedern des TCBS empfand, von der ich am Montag sprach. Da ist es schlichtweg falsch, eine Szene einzubauen, in der Frodo soweit auf Gollums hereinfällt, dass er Sam wegschickt. Vollkommener Schwachsinn, alle drei Szenen sind echte Aussetzer aus einer sonst ganz gelungenen Darstellungen tolkienscher Prinzipien. Ähnliches lässt sich im zweiten Teil auch zur Darstellung der Person Theodens sagen. Der erste Eindruck des alten, bezauberten Königs und seiner Verwandlung als direktem magischen Duell zwischen Gandalf und Saruman entspricht zwar auch nicht dem Buch, ist aber sehr, sehr gelungen, wie ich finde. Nur, was kommt dann unter der verjüngten Haut des alten Königs zum Vorschein? Der im Prinzip gleiche Zögerling wie vorher. Nix is´ mit "Auf Eorlingas!", stattdessen führt Theoden sein Volk nach dem Motto "Lasst uns schnell zu Helms Klamm schleichen – vielleicht merkt´s ja keiner". Traurig, traurig. Da hilft auch nicht, dass Théoden im dritten Teil heute abend dann zu der Größe zurückfindet, die Tolkien für ihn vorgesehen hatte.

Auffällig, aber weniger wichtig, sind demgegenüber inhaltliche Unstimmigkeiten anderer Art. Sollten etwa die Ents wirklich nichts davon mitbekommen haben, dass die Orks langsam den Fangorn abhacken, so dass das Thing gegen den Krieg mit Saruman votiert und Baumbart erst den entscheidenden Schock bekommt, als er Merry und Pippin nach Hause bringen will und plötzlich, wie aus heiterem Himmel, den abgeholzten Wald sieht? Dann noch eine Merkwürdigkeit in Aragorns Verhalten: achtet mal darauf, wie der sich gleich zu den Pfaden der Toten schleicht, ohne irgendjemandem zu sagen, was er vorhat. Das sieht doch aus wie eine Desertion, das sieht aus, als wolle er weglaufen. Und dann im Berg eiern sie erst stundenlang ängstlich herum. Das ist Quatsch, denn Aragorn ist der rechtmäßige Herrscher und er geht dahin, um seinen Truppen Befehle zu geben und nicht als Bittsteller. Und dann gibt es ja noch die handwerklichen Fehler, wie die fast durchgängig falsche Darstellung des Bogenschießens. Jackson hatte Trainer für den Schwertkampf und das Bogenschießen engagiert und man fragt sich, wo die sich wohl rumgetrieben haben.

Wie gesagt sind das aber Kleinigkeiten gegenüber der künstlerischen Freiheit, die sich Jackson gegen den Geist und die Intention des HdR herausnimmt. Das Problematische daran ist, dass es an diesen Stellen zu echten Verfälschungen der Geschichte kommt. Sicher werden diese Dinge nur Leuten auffallen, die sich ein wenig besser in den Büchern auskennen und der Spannung der Geschichte tut es ebenso wenig Abbruch wie den beiden Kernaussagen, dass Kooperation dem Egoismus überlegen ist und dass auch die vermeintlich Kleinsten Großes bewirken können. Aber die Abweichungen sind so unnötig ...


IV

Und trotzdem: die Trilogie, das ist ein wirklich guter Film geworden. Ich denke Jackson übertreibt, wenn er unterstellt, dass Tolkien zufrieden sein würde, denn das muss ungewiss bleiben. Aber er wird dem Buch meistens gerecht und das war in dieser Form nicht zu erwarten. Es ist nicht alles perfekt – sicher. Aber die handwerklichen Fehler wie das falsche Bogenschießen sind Schönheitsfehler und keine Kritikpunkte, die den Wert des Filmes insgesamt in Frage stellen. Die Punkte, die den Geist der Geschichte verfälschen weil sie handelnde Charaktere falsch darstellen – Aragorn als Mörder, Gandalf als Schläger, Gimli als Hanswurst – wiegen da schon schwerer. Aber nun ist es zu spät, die Filme sind abgedreht. Und ich bleibe dabei: Es hätte alles viel schlimmer kommen können!


Schade ist es aber schon, dass wir nicht wissen, was Tolkien von der Verfilmung gehalten hätte. Vielleicht wäre er ja begeistert gewesen, vielleicht sitzt er ja gerade da oben, schaut auf mich runter, wie ich das hier schreibe und findet das alles blödsinnig, was ich hier kritisiert habe. My apologies, dear Professor. Vielleicht hätte er aber auch seinen Spaß an der folgenden Hommage, die versucht, das Für und Wider der Verfilmung, ja von Dramatisierung von Epik überhaupt, in lyrischer Form aufzubereiten, so wie Tolkien es für die Mythenschöpfung mit seinem Gedicht Mythopoeia getan hat (Tolkien 1988, 97 – 101).


Philospectator an Misospectator

Du nimmst ein Buch und nennst es voller Ehrfurcht heilig,
Doch komm ich, les es und einverleib´s mir eifrig,
Dreh´ es wend´ es und mach seine Seele sichtbar,
Mach den Erhalt des Kernes mir zur erklärten Pflicht gar,
So reicht Dir bei weitem all das nicht nur nicht aus,
Nein, Du schreist und klagst und jammerst voller Graus,
Dass ich alles hätte falsch verstanden,
Dass ich Genie ließ schnöd´ versanden,
Doch heißt´s zu Recht, ein Bild sagt mehr als tausend Worte,
Und zeig ich – nicht bloß beschreib´ ich, Euch nicht Orte,
Die durch mich erst allen zugänglich und erreichbar,
Durch mich erst für alle gleichermaßen unvergleichbar
Sind und Sein werden?!


Misospectator an Philospectator

Sind´s wirklich Kunst und Auslegung, die Du bezweckst?
Ist´s treulich ehrend Abbild, dass Du zeichnest?
Oder sind´s nicht nur Profit und Zaster, die Du heckst?
Ist´s deshalb, dass mit Wortgeklingel Du ausweichest?
Doch will ich dich nicht des Gelds wegen verdammen,
Auch nicht weil Du soviel falsch und krumm berichtest.
Nein! Ich will den Anschlag auf die Phantasie nur bannen,
Will verhindern, dass du uns alle gleich ausrichtest.
Denn wenn der Dichter spricht: „Es sei“,
Dann lesn wir keinen Einheitsbrei,
Dann sehn wir viele Welten, Wesen, Tänze und Gesichter,
Dann betritt ein jeder Mittelerde neu und sieht ´was Eignes
S´ist in Chestertons Café, dass man trifft den Dichter
Nur so enträtselst du vielleicht behutsam das Geheimnis
Des Zaubers, der nur angedeutet wirkt!

1 Den Titel verdanke ich einem Aufsatz von Tom Shippey, der unter der Überschrift „Another Road to Middle-earth eine äußerst lesenswerte Rezension aller drei Filme vorgelegt hat.



Literatur

(Drewsteignton, Sandsgate Manor 9/´05)